Von Menschen, Mäusen und Monumenten. Medizinhistorische Visite: Die Zentralen Tierlaboratorien an der Freien Universität

Von Menschen, Mäusen und Monumenten. Medizinhistorische Visite: Die Zentralen Tierlaboratorien an der Freien Universität

Organisatoren
Institut für Geschichte der Medizin und Ethik in der Medizin an der Charité, Berlin
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
05.11.2018 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Heidi Jeske / Andreas Jüttemann, Charité Universitätsmedizin Berlin

Das Klinikum Steglitz (heute Charité Campus Benjamin Franklin) feierte im Oktober 2018 sein 50-jähriges Bestehen. Das Institut für Geschichte der Medizin und Ethik in der Medizin an der Charité nahm das zum Anlass, sich unter anderem auch mit der Entwicklung der Zentralen Tierlaboratorien zu beschäftigen, die sich ebenfalls auf dem Campusgelände befinden und im nächsten Jahr geschlossen werden sollen.

Im Berliner Volksmund wird das Gebäude auch „Mäusebunker“ genannt, wie die Studentin der Humanmedizin HEIDI JESKE (Berlin) einführend berichtete. Die dort seit 1981 durchgeführten Tierversuche waren das Thema der „Medizinhistorischen Visite“, einem Kolloquiumformat des Instituts. Die technische Einrichtung des Mäusebunkers ist heute veraltet; der Umzug der Labore in einen Neubau in Berlin-Buch ist derzeit im Gange.

Der Medizinhistoriker AXEL C. HÜNTELMANN (Berlin) stellte in seinem Vortrag die Geschichte der Tierversuche von 1910-1960 dar. Einleitend unterschied er Labor- von Versuchstieren, wobei letztere alle Tiere umfassen, an denen auf laboratoriumsexperimentelle Weise wissenschaftliche Erkenntnisse gewonnen werden. Der Referent ging zunächst kurz auf die Vorgeschichte der Versuchstiere ein. Bis in die 1870er-Jahre war der Frosch, so Hüntelmann, das am häufigsten verwendete Versuchstier (“Märtyrer der Wissenschaft”). Mit dem Aufschwung der Bakteriologie ergab sich seit den 1870er-Jahren eine Verschiebung von der Physiologie zur Pathologie. Nun zog man die Maus dem Frosch als Versuchstier vor, da sie als Säugetier für zahlreiche den Menschen betreffende Infektionskrankheiten empfänglich war. Gegenüber anderen Säugetieren boten Mäuse zudem den Vorteil, dass sie eine hohe Reproduktionsrate hatten, kostengünstig angeschafft und versorgt und platzsparend in sogenannten “Mäusegläsern” gehalten werden konnten. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts nahmen Tierversuche in den Laboratorien lebenswissenschaftlicher Institute quantitativ stark zu, so dass man sich zunehmend bemühte, Mäuse beziehungsweise Versuchstiere in standardisierter Weise zu züchten. Hüntelmann referierte die Veränderungen der Tier-Mensch-Beziehungen im Labor. Während die Standardisierung der Tierzucht, die Institutionalisierung und Professionalisierung der Versuchstierkunde erst relativ spät Ende der 1950er-Jahre einsetzte, war es in den USA mit der „Witstar Rat“ und der „JAX-Mouse“ (seit den 1920er- und 1930er-Jahren) schon früh gelungen, in regelrechten Mäuse-Fabriken standardisierte Modellorganismen zu züchten (und zu beforschen).

Der Architekturhistoriker FELIX TORKAR (Berlin) behandelte in seinem Vortrag den sogenannten Brutalismus und kam in diesem Zusammenhang auch auf den “Mäusebunker” zu sprechen. Der Referent hob hervor, dass dieser Brutalismus der „expressivste“ Architekturstil des 20. Jahrhunderts gewesen sei. Seine Denkmalwürdigkeit sei heute aber umstritten. Die Stilrichtung wurde von drei Briten (Alison und Peter Smithson sowie Reyner Banham) begründet – und zwar mit dem Anspruch, eine „ehrlichere“ Architektur darzustellen. Nichts sollte versteckt werden und die Funktion des Hauses offen erkennbar sein. Das Grundmaterial und die Strukturen blieben entsprechend sichtbar: Unverputzte Sichtbetonflächen waren der sprichwörtliche Namensgeber des Architekturstils „beton brut“. Der deutsche Architekt Gerd Hänska trat als Vertreter des Brutalismus mehrfach hervor. Er entwarf auch den Ernst-Ruska-Bau Berlin-Dahlem sowie die Walt-Disney-Grundschule. Sein Projekt Mäusebunker wurde sogar im Rahmen eines Modelltypen unweit des Klinikum Steglitz experimentell vorbereitet. Es mag verwundern, dass sogar öffentliche Gebäude wie die Boston City Hall sehr oft im Brutalismus-Stil errichtet wurden. Für große Universitätskrankenhäuser oder medizinische Labore gab es Mitte des 20. Jahrhunderts keine architektonischen Vorbilder. Deshalb konnten die Architekten auch jenseits von Stilfragen auf diesem Sektor Neues ausprobieren. Generell unterschieden sie zwischen “dienenden” (Fahrstühle und Lüftungsschächte) und “bedienten” Räumen (Labore, OP-Säle oder Krankenzimmer). Den von Hänska gestalteten Zentralen Tierlaboratorien sieht man ihre außergewöhnliche Funktion schon von außen an. Die Lüftungsrohre, die wie die Kanonen eines Kriegsschiffs seitlich herausragen, sind Beispiele hierfür. Unabhängig von der Stilrichtung wurden auch praktische Gesichtspunkte beachtet: Alle Fenster sind nach Norden ausgerichtet, um direkte Sonneneinstrahlung zu vermeiden, die Technikgeschosse sind von den Versuchsgeschossen getrennt. Abluftrohre und Zuluftrohre sind in großem Abstand angebracht, damit die verbrauchte Laborluft nicht wieder angesaugt wird.

CHRISTA THÖNE-REINEKE (Berlin) berichtete über aktuelle Diskussionen zum Thema “Tierschutz in Forschung und Lehre”. Die Wissenschatftlerin arbeit als Fachtierärztin für Versuchstierkunde und Physiologie an der Tierklinik in Berlin-Düppel und nimmt die Aufgabe als Tierschutzbeauftragte an der Freien Universität wahr. In ihrer Forschung versuche Thöne-Reineke herauszufinden, wie Tiere besser gehalten und vor Schäden geschützt werden können. Grundlage ihrer Bemühungen sei bereits die EU-Richtlinie zum Tierschutz von 2010 gewesen, mit der das Gesetz zur Harmonisierung von Tierversuchen vorbereitet wurde, das seit 2013 innerhalb der EU Geltung besitzt. Ziel dieses Gesetzes sei zunächst, eine größere Transparenz hinsichtlich des Einsatzes von Tieren in Laboren zu erreichen. Für das Wohlergehen der Tiere soll ein Mindeststandard an Versorgung gesichert werden. Generell bestehe aber die Absicht, auf Tierversuche in Zukunft völlig zu verzichten. Um diese Planung zu realisieren, müssen konsequent die Regeln des sogenannten „3R-Prinzips“ beachtet werden. Dazu gehört zum Beispiel die Tötung eines Tiers nach Versuchsende nach Möglichkeit zu vermeiden und – sollte es nicht anders gehen – die schonendste Tötungsmethode anzuwenden. Tierversuche sollten mehr und mehr durch Alternativmethoden ersetzt werden. Außerdem seien nicht-invasive Untersuchungsmethoden zu präferieren und die Tiere hinsichtlich ihrer Haltung besserzustellen. Das 3R-Prinzip (Russel und Burch, 1959) umfasst Reduction, Refinement und Replacement: also Vermeidung, Verringerung und Verbesserung von Tierversuchen. Ein Beispiel für ein angewandtes Refinement stellen nach Thöne-Reineke die Ausbildung von Tierärzten „am Tier“ dar: Hier ließen sich vielseitige Methoden in der Lehre einsetzen (Videos, Bildmaterial, Plastinate, Computerprogramme, Modelle und Simulationen). Abschließend stellte die Referentin noch einige Projekte vor, bei denen es um die Reduktion von Tierversuchen ging.

Konferenzübersicht:

Heidi Jeske (Charité Berlin): 50 Jahre Klinikum Steglitz:
Entwicklung der tierexperimentellen Forschung

Kurzvorstellung des Studierendenprojekts im Modul M23

Axel C. Hüntelmann (Charité BerlIn): Eine Geschichte der Tierversuche, 1910 bis 1960

Felix Torkar (Freie Universität Berlin): Der „Mäusebunker“ – eine architekturhistorische Betrachtung

Christa Thöne-Reineke (Freie Universität Berlin): Tierschutz in Forschung und Lehre an der Freien Universität Berlin heute